Der Hochadel der italienischen Weine: Seine Majestät, der Masseto Ornellaia, und die „Supertoskaner“
Völlig zu Recht wird er als „König der italienischen Weine“ bezeichnet, der wunderbare, bordeauxartige Masseto aus der schönen Toskana. Als einer der sogenannten „Supertoskaner“ ist er der wohl teuerste Wein Italiens und zählt zu den begehrtesten Crus der Welt – kein Wunder, werden vom Masseto doch gerade mal 30.000 Flaschen pro Jahr produziert. Die Trauben für diesen herausragenden Merlot reifen auf dem gleichnamigen Weinberg, einer Einzellage von kaum sieben Hektar Größe, dem Kenner „magische Kräfte“ zusprechen. Zweifellos bringt dieser besondere Weinberg immer wieder exzellente Jahrgänge hervor, für die Liebhaber mit Freuden mehrere Hundert Euro bezahlen. Was macht den Masseto und seine aristokratischen Verwandten so groß?
Die Heimat des Masseto ist der bekannte Weinort Bolgheri, ein Ortsteil der Gemeinde Castagneto Carducci nahe der tyrrhenischen Küste in der Maremma, etwa 60 Kilometer südlich von Livorno. Es ist das mediterrane Klima mit seinen milden Sommern, das den für diese Region eher unüblichen Merlot-Trauben ideale Reifebedingungen bietet. Da er aus der „fremdländischen“ Rebsorte Merlot gekeltert wird, darf der Masseto – die Bestimmungen wollen es so – sich nicht mit der Bezeichnung „Bolgheri/Bolgheri Superiore DOC“ schmücken, sondern kommt als „einfacher“ Landwein daher, also als Rosso Toscana IGT. Ein Understatement, das sich dieses noble Gewächs ohne Weiteres leisten kann!
Der Superstar unter den „Supertoskanern“
Der Masseto-Weinberg gehört zum Spitzenweingut Ornellaia e Masseto der Familie Frescobaldi, das neben dem Masseto noch einige weitere „Supertoskaner“ produziert und als „Tenuta dell’Ornellaia“ bekannt wurde. Der heute als „magisch“ gepriesene Weinberg fristete lange Zeit ein Schattendasein – bis Weinkenner mit bewundernswertem Instinkt, viel Mut und Pioniergeist in den 1980er-Jahren das Potenzial erkannten, das diese Lage für Merlot-Trauben besitzt. Diese Rebsorte, die ja ursprünglich im französischen Bordelais mit seinem atlantischen Kontinentalklima zuhause ist, reift auf den toskanischen Lehmböden, beschienen von milder italienischer Sonne, auf eine andere Art aus als in Frankreich – und entwickelt, wie sich schnell herausstellte, als Italienerin einen ganz eigenen Charakter.
Zwei Elemente prägen den Masseto-Weinberg: der Boden und das tyrrhenische Meer. Das an die südliche Toskana angrenzende „mare tirreno“, über dem der Weinberg in etwa 120 Meter Höhe aufragt, gilt als wesentlicher Bestandteil des Masseto. Im Sommer reflektieren seine Wellen das Sonnenlicht und verstärken dessen Wirkung auf die Reben. Gleichzeitig wirkt die feuchtwarme Meeresbrise mäßigend auf die Traubenreifung und gleicht ungünstige klimatische Einflüsse aus. Und auch unter der Erde, im Boden, entfaltet das Meer seine Kraft, liegt doch der Weinberg auf einer Millionen Jahre alten mineralischen Lehmschicht – dem ehemaligen Meeresboden.
Lehm, Sonne, Wind und Meer ...
Der Boden: In drei Lagen mit jeweils unterschiedlichen Bodeneigenschaften ist der Masseto-Weinberg unterteilt – sandig-steinig oben, lehmig in der Mitte, sandig-lehmhaltig in der untersten Lage. Auf jeder Lage reifen die Trauben zu unterschiedlichen Zeiten aus und werden getrennt voneinander gelesen. Die komplexesten Ergebnisse bringt die zentrale mittlere Lage mit ihrem hohen Lehmanteil hervor. Es ist eben dieser blaue Lehm aus dem Zeitalter des Pliozän, dem der Masseto seinen typischen Charakter, seine kräftige Tanninstruktur verdankt. Und seinen Namen: „Massi“ ist das italienische Wort für die blauen Lehmklumpen, die sich auf dem Weinberg bilden.
Das lehmige Terroir ist in der Lage, Feuchtigkeit zu speichern und diese dann langsam wieder abzugeben. Es macht den Weinbau aber auch zur Herausforderung: In Jahren mit viel Regen wird der Boden nass und kalt. Trockene, heiße Sommer lassen ihn steinhart werden, sodass die Wurzeln es schwer haben, sich tief in den Untergrund vorzuarbeiten. Doch schaffen es die Reben immer wieder, sich, unterstützt von der handwerklichen Kunst der Winzer, gegen die Herausforderungen der Elemente zu behaupten. Vielleicht ist es gerade dieses Durchsetzungsvermögen, die den Wein am Ende so konzentriert und kraftvoll macht. „Die Herstellung des Masseto ist ein Balanceakt, bei dem man wie auf einem Hochseil ständig am Rande des Abgrunds wandelt“, schreiben die Weinmacher auf ihrer Webseite. Und der Weingutsdirektor, der Münchner Meister-Önologe Axel Heinz, bringt das schwierige Zusammenspiel von Klima und Winzerkunst so auf den Punkt: „Unser Ziel ist es, einfach das Wesen der Natur einzufangen und es auf höchstes Niveau zu bringen.“
Drei Jahre Zeit zum Reifen
Was übrigens auch jede Menge Zeit braucht: Zwischen Traubenlese und Abfüllung in die Flaschen liegen rund drei Jahre. Dabei wird der Masseto getrennt von den anderen Ornellaia-Weinen produziert und darf sogar in seinem ganz eigenen Keller reifen – ein von zwei Star-Architekten entworfener Keller übrigens, der „seinem“ Wein an Exklusivität in nichts nachsteht. Im Herzen des Kellers findet sich eine Art Höhle, die „Masseto Caveau“. Hier werden die Schätze des Weinguts perfekt gelagert und gehütet: die Masseto-Flaschen aller Jahrgänge seit 1986.
Die Produktion lässt sich in aller Kürze so beschreiben: Zu Beginn des höchst aufwendigen Prozesses werden die einzelnen Trauben vor und nach dem Abbeeren sortiert, handverlesen und angepresst, danach erfolgt unter strenger Temperatur- und Maischekontrolle die Vergärung in den speziellen Vinifikationstanks. Anschließend wird der Wein in Barriquelagern ausgebaut. Im nächsten Schritt werden die Rebsorten zur Assemblage der Grundweine zusammengeführt, bevor der Wein wieder in die Barriquefässer gefüllt wird und dort zwei Jahre lang reift. Erst danach folgt die Flaschenabfüllung und nochmals 12-monatige Lagerung, bis das Ergebnis – versehen mit einem speziellen Etikett, das auch Angaben zur Authentizität und Rückverfolgbarkeit aufweist – auf dem Markt präsentiert wird. Dort, so hoffen die Macher, findet der Wein dann auch die Besitzer, die ihn verdienen: Laut Masseto-Chef Axel Heinz ist es dem Weingut ein besonderes Anliegen, „dass die Weine von Leuten getrunken werden, die den Wein zu schätzen wissen, und nicht von Leuten, die ihn wegen des hohen Preises kaufen und dann liegen lassen in der Erwartung, dass der Preis weiter steigt.“
Ja, er sollte getrunken werden, dieser wunderbare Merlot, mit Liebe, Genuss und Verstand. So unterschiedlich jeder Jahrgang ausfällt, so komplex sein Charakter auch ist, so lassen sich doch die wesentlichen Eigenschaften des Masseto auf den Punkt bringen: satt und intensiv, konzentriert und saftig, üppig, fruchtig, samtig, sinnlich und auch nach langjähriger Lagerung immer noch frisch – ein Wein für Liebhaber eben.
Die noblen Verwandten des Masseto
Was natürlich ganz genauso für die Verwandten des Masseto, die anderen „Supertoskaner“ gilt. Klingende Namen fallen unter diese (informelle) Kategorie, neben dem Masseto an der Spitze etwa Tignanello, Sassicaia oder Solaia. Auch einige wenige weiße Trauben werden zu Supertoskanern, z.B. der meisterhafte Ornellaia bianco.
Warum eigentlich die ziemlich lässige Bezeichnung „Supertoskaner“ für solch edle Weine? Eine Legende sagt, dass ein englischsprechender Weinjournalist während einer Degustation ausrief: „This is a super tuscan!“ Wie auch immer es dazu kam, der Begriff setzte sich im modernen Weinjournalismus durch und wurde zu einer Art Gütesiegel. Keinem offiziellen allerdings, denn die Superstars des italienischen Weinbaus tragen in der Regel weder ein DOC- noch oder DOCG-Label. Im Grunde sind sie „schlichte“ Vini da Tavola, also Tafelweine, und wurden einige Jahrzehnte lang auch als solche vermarktet. Erst in den 1990er-Jahren wurde in Italien ein neues Qualitätssiegel eingeführt, die „Indicazione Geografica Tipica“ (IGT), mit denen die Supertoskaner heute ausgezeichnet werden. Eine kleine Ausnahme macht Bolgheri: Weingüter aus diesem Örtchen dürfen für einige Weine ein eigenes DOC-Siegel verwenden, obwohl die verwendeten Trauben ursprünglich nicht aus der Region kommen.
„Revoluzzer“ schafften neue Superlative
Dass die „Superweine“ Ende der 1960er-Jahre entstanden, ist auf nichts anderes als eine kleine Revolution seitens des innovativen toskanischen Winzeradels zurückzuführen. Damals verlangten die strengen Bestimmungen des italienischen Weinbaus nicht nur die Verwendung ausschließlich heimischer Trauben, sondern auch immer einen bestimmten Weißweinanteil der Rebsorten Trebbiano und Malvasia. Die Winzer, die zu neuen Ufern drängten, sprengten diese Ketten: Sie reduzierten die traditionellen Sorten oder verzichteten ganz auf sie und brachten andere, ausländische Rebsorten ins Spiel. Die ersten dieser „Weinrevoluzzer“ waren der Marchese Piero Antinori, der „Vater“ des Tignanello (der bis heute auch Sangiovese-Trauben enthält), sein Cousin Mario Incisa della Rocchetta, der den ersten Sassicaia schuf, aber auch Enzo Morganti, der im Weingut San Felice bereits 1968 einen umwerfenden Vigorello produzierte. Ihr Vorbild war der Bordeaux, und so importierten sie einfach Bordelais-Gewächse nach Italien, vor allem Cabernet Sauvignon, Cabernet franc und Merlot, und brachten sie in ihre Böden ein, die sich als Glücksfall für diese Trauben entpuppen sollten. Auch die für den Bordeaux typische Barrique-Reifung führten die toskanischen Weinmacher ein.
Die Antinoris schafften es dann als erste, ihre neuen, Barrique-gereiften Weine auf den Markt zu bringen. Der Erfolg ihrer überaus hochwertigen Erzeugungen ließ nicht lange auf sich warten – es folgten mehr und mehr moderne „Designerweine“ aus den italienischen Weinbergen. „Italiens Antwort auf den Bordeaux“ war geboren. Und der Rest ist Geschichte. Die Supertoskaner stammen bis heute vorrangig aus den besten, sonnig-maritimen Lagen der Maremma und speziell der Region rund um Bolgheri mit ihrem günstigen milden Klima, dem fantastischen Terroir – und natürlich den überaus fähigen Kellermeistern. Diese verstehen es, die Trauben genau so zu assemblieren, dass ihre Weine außergewöhnlich geraten und gleichzeitig dem Geschmack einer breitgestreuten Kundschaft entsprechen.
Denn auch darauf kommt es den Supertoskanern an: dass sie einem Stil entsprechen, der international „gut geht“ und kommerziell erfolgreich ist. Eine Tatsache, die diesen Weinen gelegentlich von traditionsbewussten Puristen vorgeworfen wird. Wir aber verneigen uns sowohl vor dem Mut als auch vor der großen Winzerkunst der noblen toskanischen Weinmacher – und ebenso vor ihren modernen Weinen, die, wie wir finden, den besten internationalen Traditionsweinen an Großartigkeit in nichts nachstehen.